Kind im Rollstuhl vor Computerspiel

Themenmonat 3 +++ Computerspiele und assistive Technologien

Computerspiele und Barrierefreiheit

Warum Computerspiele in der inklusiven Medienarbeit – und warum ist das Thema Barrierefreiheit auch bei Computerspielen wichtig? Computerspiele sind ein Medium, das fast alle Heranwachsenden begeistert – und damit das ideale Tool, Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Voraussetzungen zusammen zu bringen. Damit dies gelingt, müssen auch Computerspiele zugänglich sein für Menschen mit Behinderung.

Gaming für alle. Und mit allen.

Beim Gamen können auch Menschen mit Behinderung zeigen, was sie drauf haben. Bei der diesjährigen Gamescom in Köln trat z. B. der vom Hals abwärts gelähmte Dennis Winkens gegen YouTube-Let’s-Player PietSmiet im Autorennspiel F1 an – und gewann. Dafür nutzte er einen Controller, den er mit den Mund steuerte, für viele Zuschauer offenbar ein Faszinosum und „Eisbrecher“. Die Tatsache, dass man mit einer spannenden Technik die gleichen „coolen“ Dinge wie alle anderen machen kann, reduziert offensichtlich (Berührungs-) Ängste gegenüber dem Thema Behinderung und den Menschen mit Behinderung selbst – was z. B. auch der aktuelle Spot der Aktion Mensch „Die neue Nähe“ nutzt.

Mit Computerspielen für Barrierefreiheit

Ein Computerspiel auch mit einem anderen Eingabegerät bedienen zu können als  mit „normalen“ Controllern oder Tastatur und Maussteuerung ist also ein wichtiges Kriterium für die Barrierefreiheit eines Computerspiels. Die Barrierefreiheit digitaler, audiovisueller Medien – d. h. also von Internetseiten, Software, Computerspielen und Filmen etc. ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass gleichberechtige Teilhabe an diesem immer wichtigeren Bereich unserer Gesellschaft überhaupt möglich ist. Der Einsatz von Computerspielen in der inklusiven Medienarbeit kann also auch dafür genutzt werden, Kinder und Jugendliche mit Spaß und Motivation an das Thema „Digitale Barrierefreiheit“ heranzuführen und sie für bestimmte Aspekte dieses Bereichs zu sensibilisieren. Ein Bespiel für diese Methode wäre der Aktionstag, den der Spieleratgeber NRW in der Köln Kinder-und Jugendeinrichtung Inklusive OT Ohmstraße durchgeführt hat, nachzulesen im Beitrag „Inklusion und Gaming“ von Milena Remus oder die Spieletester AG von barrierefrei kommunizieren! in Bonn.

Was ist ein barrierefreies Computerspiel?

Doch was kennzeichnet eigentlich ein barrierefreies COMPUTERSPIEL? Während das Thema Barrierefreiheit im Internet schon sehr viel länger diskutiert und auch umgesetzt wird und es zumindest für Internetangebote von Bundesbehörden rechtsverbindliche Vorschriften für die barrierefreie Gestaltung gibt, die sogenannte Barrierefreie Informationstechnikverordnung (BITV 2.0, angelehnt an die Web Accessibility Guidelines, WCAG 2.0) fehlen vergleichbare, verbindliche Standards für Computerspiele. Zum einem liegt das sicherlich an der „spielerischen“ Natur von Computerspielen, die als nicht ganz so wichtig und wesentlich empfunden werden wie z. B. Informations- und Kommunikationsangebote im Internet. Zum anderen könnte man sich natürlich fragen: Was soll denn überhaupt ein Spiel FÜR ALLE sein? Immerhin gibt es auch so genug Spiele, die zu uninteressant oder zu schwer für bestimmte Menschen sind, ganz unabhängig davon ob behindert oder nicht. Und nicht zuletzt sind Spielepublisher, aus wirtschaftlichen Erwägungen, wenig interessiert oder sensibilisiert für das Thema. Doch Computerspiele sind längst prägender Teil dieser Gesellschaft und mittlerweile zum Kulturgut geadelt: Es muss also auch für Menschen mit Behinderung gleichwertige und zahlreiche Zugänge zu diesem Medium geben.

Inklusions-Scout Daniel Heinz vom Spieleratgeber NRW hat die sogenannten Game Accessibility Guidelines ins Deutsche übertragen und veröffentlicht. Die Checkliste kann als PDF heruntergeladen werden und z. B. im Rahmen von Gaming-Aktionen eingesetzt werden. Die Barrierefreiheit eines Spiels kann anhand verschiedener Aspekte überprüft werden: Motorische, kognitive, visuelle, auditive und sprachliche. Wesentliche Aspekte sind z. B.: Ein Spiel kann mit individuellen Eingabegeräten (wie die oben erwähnte Mundmaus) bedient werden, die Tastenbelegung kann individuell angepasst werden, es gibt verschiedene Schwierigkeitsstufen. Wesentliche Informationen werden nicht alleine durch Töne oder Farben übermittelt und es gibt Untertitel.

Für Menschen mit schweren Körperbehinderungen, die ihre Hände und Arme nicht richtig bewegen können, ist das Thema „Individuelles Eingabegerät für die Spielesteuerung“ sicher das Wichtigste! Neben der oben erwähnten Steuerung mit einem Mundjoystick gibt es noch andere Arten der Steueurung, z. B. mit dem Kopf oder sogar mit dem Augen. Bei der Kopfsteuerung werden Kopfbewegugen mittels Webcam erfasst und in Mausbewegungen übersetzt, eine bestimmte Verweilzeit über einen Punkt wird als Klick interpretiert. Die Augensteuerung erfasst die Augenbewegungen und übersetzt diese in Mausbewegungen. Bislang waren Augensteuerungssysteme noch sehr teuer und speziell, ganz aktuell wurde aber ein Laptop für Gamer mit integrierter Augensteuerung vorgestellt, gut möglich also, dass der Durchbruch zur Massentechnologie nur noch eine Frage der Zeit ist. Um einen Computer bzw. ein Game mit dem Kopf zu steuern, kann man auf Open-Source-Technik zurückgreifen und z. B. kostenfrei EViacam herunterladen. Wie man diese Kopfmaus installiert und wie man damit z. B. das Jump’nRun-Spiel Go Ollie spielt, wird ausführlich im Arbeitsheft medienkompetent teilhaben! Materialien für eine inklusive Medienpädagogik beschrieben, das gegen eine Schutzgebühr von 4 Euro bestellt werden kann.

Taster oder Töne?!

Menschen mit schweren Behinderungen haben, je nach Art und Schwere der Behinderung, ganz unterschiedliche Anforderungen an Computerspiele. Jemand, der nahezu komplett gelähmt ist oder keine Kontrolle über seine Arme und Hände hat und damit keine „normalen“ Eingabe- und Steuerungsgeräte nutzen kann, hat ganz andere Bedarfe, als jemand, der körperlich fit ist und nicht sehen kann. Einige Menschen mit schweren Körperbehinderungen (und ohne gute Kopfkontrolle) nutzen häufig sogenannte Taster für die Computerbedienung: Durch Druck auf den Taster (andere Begriffe: Button oder Schalter bzw. im Englischen „Switch“) wird ein Ein-Aus-Signal erzeugt. Via Scanning können auf diese Weise Klicks ausgelöst werden. Eine gute Vorstellung davon wie die Computerbedienung via Taster funktioniert, bieten die Videos von Christopher Hills. Spiele, die für diese Art der Steuerung optimiert sind, sind relativ rar gesät, aber es gibt sie! Eine gute Recherche-Möglichkeit bietet der (englischsprachige) Blog OneSwitch.org, hier gibt es auch eine Übersicht über (meist ältere) tasterbedienbare Computerspiele zum Herunterladen.

Blinde bedienen Computer und Internet nach dem Gehör: Eine Screenreadersoftware liest alle Text- und Navigationsinformationen und ermöglicht so – jedenfalls bei einer Programmierung nach den BITV 2.0-Standards – die Bedienung von Computerprogrammen und Internetseiten. Aber welche Möglichkeiten gibt es Computerspiele zu spielen? Sogenannte Audio-Games ermöglichen das Spielen nach Gehör und auch hier gibt es mittlerweile ausdifferenzierte Genre, vom ruhigen Rollen- bis zum Ballerspiel. Auf der Seite BLINDzeln gibt es einige Spiele-Tipps, weitere Links mit Übersichten über Spiele, die auch für Blinde zugänglich sind, findet man auf der Seite von Anders Sehen.

Link-Tipps

Autorin

Carola Werning, barrierefrei kommunizieren!/ tjfbg gGmbH