Ein Märchen als Gebärdensprachvideo. Von Olga Kuleshova
Alle lieben Märchen, besonders Kinder. Das Vorlesen von Märchen fördert die Kreativität von Kindern, denn während des Vorlesens stellen diese sich Bilder in ihren Köpfen vor und manchmal wird das Märchen sogar nach dem Einschlafen weiter geträumt. Märchen und Geschichten beeinflussen das Heranwachsen von Kindern und begleiten diese bei ihrer Entwicklung. So können mit Hilfe von Märchen verschiedene Rollen und Situationen kennen gelernt und z. B. verstanden werden, was Helden und Bösewichte sind.
Da für Kinder, welche die Gebärdensprache nutzen, Deutsch eine Fremdsprache ist, ist es für sie schwierig, Märchenbücher mit deutschen Texten zu verstehen. Wir haben uns daher eine Möglichkeit überlegt, Märchen für alle Kinder zugänglich zu machen.
Hintergrund
Das Projekt fand im Rahmen des Landesprogramms „Kultur und Schule“ an der LWL-Förderschule „Münsterlandschule“ mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation statt. An 4 Terminen beschäftigten sich 9 Schüler:innen (5 Jungen und 4 Mädchen) mit Hörbeeinträchtigungen aus der fünften Stufe insgesamt 25 Stunden lang mit der Übersetzung eines Bilderbuchs in ein Gebärdensprachvideo. Ziele unseres Projekts waren die Vermittlung von Medienkompetenz, der Umgang mit der Filmkamera, Sprachförderung, Teamarbeit und die Förderung von Kommunikation. Bisher gibt es nur wenige Märchen in Gebärdensprache und wir entschieden uns „Rotkäppchen“ zu übersetzen. Bei der Vorbereitung zum Projekt wurde ein existierendes Video-Märchen in Leichter Sprache und Gebärdensprache vom NDR angeschaut.
Einführung
Das war die Vorlage für uns. Die Kinder haben im Unterricht das Märchen kennengelernt. Dann wurde das Märchen transkribiert und in Szenen aufgeteilt. Für uns war es wichtig, dass alle Teilnehmenden bei der Erarbeitung aktiv mitmachen und sowohl die Chance bekommen vor der Kamera aufzutreten, als auch die Kamera zu bedienen. Im Laufe der Erarbeitung des Märchens haben wir mit den Kindern kleine Änderungen an dem Märchen vorgenommen, um es an die Vorstellungen der Kinder anzupassen. So wurde aus Mangel an weiblichen Darstellerinnen z.B. aus der Mutter der Vater von Rotkäppchen, aus der Großmutter der Großvater. Bevor wir mit dem eigentlichen Filmdreh angefangen haben, filmten wir Vorstellungsclips, in denen sich die Kinder mit Namen, Alter und Hobbys vorgestellt haben. Dafür haben die Kinder Hintergrundbilder gemalt, die später als Hintergrund für ihre Clips benutzt wurden. Vorstellungsclips eignen sich gut für den Einstieg in die Filmarbeit, weil die Kinder sich so vor und hinter der Kamera ausprobieren und sich mit dem Prozess vertraut machen können. Hemmungen und Unsicherheiten können hier direkt angesprochen und bewältigt werden. Im Rahmen einer Kameraeinführung wurden die Teilnehmer:innen mit der Technik (Kamerabedienung) vertraut gemacht. Anschließend wurden die Rollen besprochen und verteilt und ihre technische Umsetzung diskutiert. Als Rollen hatten wir den Erzähler, Rotkäppchen, den Wolf, den Vater und den Großvater, Freundinnen von Rotkäppchen und zwei Jäger. Interessant war, dass es für Kinder kein Problem war, das Märchen umzugestalten und andere Rollen in das Video aufzunehmen, damit alle Teilnehmenden eine Rolle hatten.
Medien-Stationen
Da nicht alle Kinder gleichzeitig vor der Kamera sein konnten, wurden verschiedenen Medien-Stationen zur zeitlichen Überbrückung aufgebaut.
Da das Märchen vor einem Greenscreen – einem grünen, passend beleuchteten Hintergrund, der später durch individuelle Hintergründe ersetzt werden kann – gefilmt wurde, konnten die Schüler:innen an der ersten Station Hintergrundbilder malen. Hier sind Bilder wie z.B. das Haus von Rotkäppchen, eine Blumenwiese oder das Zimmer vom Großvater entstanden. An der zweiten Station konnten die Kinder Ozobots ausprobieren. Der Ozobot ist ein kleiner Roboter mit einem Akku, der an der Unterseite mit zwei motorgetriebenen Rädern und fünf Farbsensoren ausgestattet ist. Dieser fährt über verschiedenfarbige Linien und kann Befehle ausführen. Schwarze Linien bilden hierbei den Hauptweg. Befehle werden auf dem Weg in den Farben rot, grün und blau eingezeichnet. An dieser Station wurde eine zu Rotkäppchen passende Vorlage ausprobiert, an welcher die Kinder die Linien so einzeichnen sollten, dass der Ozobot direkt zum Haus vom Großvater fährt und nicht zum Wolf kommt. Das iPad-Spiel „Draw your Game“ konnte an der dritten Station ausprobiert werden. In der App kann man ein eigenes Jump’n’run-Spiel erstellen. Hierfür muss man zunächst analog auf Papier ein Spielfeld zeichnen und kann dieses dann mit dem iPad abfotografieren und anschließend digital spielen. Flächen in roter Farbe bedeuten Gefahr, grüne Linien/Flächen nutzt man für das höheres springen und blaue Elemente können bewegt werden. An der vierten Station wurde dann der Märchenfilm gedreht. So hatten alle Teilnehmenden immer etwas zu tun.
Beteiligte
Da wir keine Übersetzer:innen hatten, hat diese Rolle die Lehrerin übernommen. Sie hat alles auf Gebärdensprache übersetzt und bei der Aufnahme auf die korrekte Übersetzung in Gebärdensprache geachtet. Im Projekt waren insgesamt zwei Medientrainer:innen involviert und es war danach viel Schnittarbeit erforderlich. Am Ende ist ein multimedialer, barrierefreier Film entstanden. Hierfür wurden die Kinder von Sprechern nachsynchronisiert und Untertitel in der Postproduktion eingefügt. So können nicht nur Menschen, die Gebärdensprache verstehen, sondern alle Menschen, unabhängig von ihren Beeinträchtigungen und Fähigkeiten das Märchen erleben und verstehen.
Fazit
Die Kinder kamen zu jedem Termin immer freudig motiviert, neugierig und interessiert. Wir haben gesehen wie stolz sie auf sich selbst waren, wenn sie ihre Rolle in Gebärdensprache gut gemacht haben. Spannend zu sehen war auch, wie sich die Kinder gegenseitig geholfen haben, z.B. wenn einer nicht genau wusste, wie er oder sie etwas in Gebärdensprache ausdrücken konnte. Für alle war es die erste schauspielerische Erfahrung überhaupt. Einige haben sich nicht sofort getraut, aber am Ende des Projekts war das Auftreten vor der Kamera kein Problem mehr. Bei der Präsentation fanden alle den Film sehr gelungen.
Schwierigkeiten
Schwierig bei der Umsetzung des Projekts war, dass wir keine:n externe:n Übersetzer:in hatten. Es war sehr anstrengend für die anwesende Lehrerin die gesamte Übersetzung an allen Stationen gleichzeitig zu übernehmen. Deshalb haben wir versucht pantomimisch mit den Kindern zu kommunizieren. Manche Schüler:innen könnten Lippen lesen. Das hat sehr gut geklappt. Außerdem haben sich die Schüler:innen, wenn sie nicht gerade an der Reihe waren, sehr schnell gelangweilt. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen die Gruppe bereits vor dem Dreh kennen zu lernen, um schon im Vorfeld alternative Aufgaben vorzubereiten. Durch die Stationen, welche wir erst nachträglich ins Projekt integriert haben, waren aber alle beschäftigt. Abschließend sehe ich das Projekt als sehr sinnvoll an. Es hat mir viel Spaß gemacht und hat mich persönlich dazu motiviert die Gebärdensprache zu lernen.