Frau und Mann bei der Arbeit mit Mikro und Schnittprogramm

Radio Workshop

Beim Familienseminar des BEBSK e.V. Bericht von Susanne Holbein

Einmal im Jahr treffen sich aus ganz Deutschland Familien, die blinde oder sehbehinderte Kinder haben zum Familienseminar des BEBSK e.V. (Bundesvereinigung Eltern blinder und sehbehinderter Kinder). Der Ort wechselt, das Rahmenprogramm auch etwas. Trommeln ist eher ein fester Bestandteil. Der Radio-Workshop war etwas ganz Neues. Ein guter Grund genau hinzusehen und zu fragen: Und wie lief es? Ganz am Ende gab es eine Radiosendung! – Also: Ziel erreicht.  Die Rückmeldungen waren ziemlich begeistert, dass man so etwas innerhalb von 1,5 Tagen produzieren kann. Aber der Weg dorthin war steinig und etwas steil. Daher fangen wir ganz vorne an:

Kurzinfo zu meiner Person

Ich arbeite seit 15 Jahren als Medienpädagogin. Angefangen habe ich beim Radio, nach ein paar Jahren kamen andere Medien: Film, Trickfilm, Bildershows, Bildercomic etc. dazu. Bei den Audioproduktionen haben mich schon immer die unendlichen Möglichkeiten fasziniert, die wir in der Umsetzung von Ideen und der technischen Nachbearbeitung haben.  Ist ein Kind am Aufnahmetag krank, können wir auch am letzten Tag den Text mit ihr/ihm aufnehmen und noch „reinschneiden“ – im Film ist das nicht so einfach möglich. Können TeilnehmerInnen nicht gut lesen oder nicht gut betont sprechen, kann man Texte vorsprechen und nur der Text bleibt drin, den man braucht und am besten klingt.

Ich arbeite gerne mit gemischten und inklusiven Gruppen – homogene Gruppen gibt es sowieso nicht. In diesem Radio-Workshop waren alle TeilnehmerInnen blind oder hatten eine starke Seheinschränkung. Daher musste ich in der Vorbereitung völlig umdenken – Standardsätze wie: „Guck mal hier!“ und „Klick mal auf den roten Punkt!“ rutschten mir zwar raus, halfen aber natürlich nicht weiter.

Die Vorbereitung

Auf meiner Suche nach Experten für Audioschnitt mit Blinden lernte ich Robbie Sandberg kennen. Er ist Jugendreferent beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV). Er gab mir viele Tipps und Infos, die mir wirklich sehr weiterhalfen.

Also, wie arbeitet man blind am PC?

  • Zum Einen über Sprachausgabe, hierbei gibt es verschiedene Programme, die auch, je nach Qualität, sehr teuer sind. Zum Kennenlernen von solchen Hilfsprogrammen gibt es auch kostenfreie Versionen. So wird einem vorgelesen, an welcher Stelle bzw. bei welcher Datei man gerade ist – oder man lässt sich ganze Texte vorlesen. Ich dachte bisher immer, im Film werden die Schnitte immer schneller, aber beim Audio sind und bleiben wir „entschleunigt“. Ha, weit gefehlt, wenn ein ungeübtes Ohr mithört, in welcher Geschwindigkeit sich blinde Menschen Texte, Befehle, Mitteilungen etc. am PC anhören, kann man nur staunen und versteht nicht mal „Bahnhof“.
  • Ein paar Jugendliche hatte noch ihre Braillezeile an den Laptop angeschlossen. Hierbei können sie über kleine Stifte, die sich zu  Braille-Buchstaben formen, die Textzeile mit den Fingern lesen.
  • Ganz wichtig sind auch Kurzbefehle bzw. Shortcuts. STRG + C ist z. B. der Befehl für Kopieren. Viele sind voreingestellt, man kann bei Programmen weitere hinzufügen oder sie auch verändern, da sie z.B. für die deutsche Tastatur unpraktisch sind.
  • Für das Schneiden und Montieren der Aufnahmen ist das freie Programm Audacity sehr gut geeignet, da es sehr barrierefrei und gut mit vielen Kurzbefehlen zu steuern und zu bedienen ist.

Audioaufnahmen

Es gibt eine Vielzahl an Audio-Recordern, ich arbeite mit dem Zoom H2N. Für das Projekt habe ich die Geräte so eingestellt, dass das Metronom 4 mal ertönt, bevor die Aufnahme startet. Mit der Hold-Taste verhindert man das ungewollte Stoppen der Aufnahme. Robbie Sandberg empfiehlt für Aufnahmen den Olympus DM-720, da er über eine Sprachausgabe verfügt und der Kontrast beim Display eingestellt werden kann.

Eigene Technik

Die Jugendlichen bekamen im Vorfeld Links zum Download für das Programm Audacity. So konnten sie im Projekt mit ihren eigenen Geräten und mit ihren installierten Hilfsmitteln arbeiten. Manche brachten ihre eigenen Audiorecorder mit, die meisten wollten aber ein neues Gerät kennenlernen und benutzten den Zoom.

Radio WS – Einstieg

Zu Beginn machten wir eine kurze Vorstellungsrunde. Jeder und jede sollte den Namen sagen und erzählen, welche Seheinschränkung sie haben, was sie gerne hören und was sie gar nicht gerne hören. Neben den 17 TeilnehmerInnen waren noch weitere Betreuer dabei und nur ein Mensch hatte keine Seheinschränkung.

Dann begann ich mit einem Spiel, das an „Stille Post“ angelehnt ist. Drei Kinder sind draußen vor der Tür, eins noch im Raum. Ich erzählte allen im Raum eine Geschichte. Das erste Kind musste versuchen, sich so viele Details wie möglich zu merken. Dann kommt eins der Kinder, die vor der Tür warten, rein. Das erste Kind erzählt dem 2. Kind die Geschichte, mit allen Einzelheiten, an die es sich erinnern kann. Dann kommt das 3. Kind rein, hört die Geschichte vom 2. Kind usw. bis das letzte Kind da ist.

Die einzelnen „Erzählungen“ werden mit dem Audiorecorder aufgenommen und abwechselnd können ein paar Kinder über Kopfhörer mithören. Zum Abschluss hörten wir uns die „Originalgeschichte“ noch einmal gemeinsam an. Damit lässt sich verdeutlichen, wieviele Informationen verloren gehen können. So sollten wir bei unseren Beiträgen darauf achten, wenn Dinge wichtig sind, sie nicht zu schnell zusagen, deutlich aussprechen und, wenn sie sehr wichtig sind, am Besten noch einmal wiederholen.

Produktion in den Gruppen

Die TeilnehmerInnen waren vorab in drei Gruppen eingeteilt. Innerhalb der Gruppen hatten sie verschiedene Ideen, sodass in insgesamt sechs Gruppen sechs Beiträge entstanden. Zuerst wurde ein grobes Konzept erstellt, damit der grobe Rahmen klar ist. Dann Texte schreiben, Details festlegen, Fragen für Interviews und Umfragen formulieren. Gerade beim Finden der richtigen Fragen ist es wichtig, dass man W-Fragen stellt (wer, wann, wieso, warum…), damit die Menschen in Sätzen antworten und nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“.  Auch beim Formulieren der Texte ist es für die TeilnehmerInnen immer wieder interessant, wie unterschiedlich Sätze wirken können, wenn man Wörter vertauscht, austauscht und wie die Betonung den Satz verändern kann.

Den Gruppen, die bereit für die Aufnahmen waren, zeigte ich die Rekorder. Ich hatte sieben Aufnahmegeräte mitgebracht, sodass jeder und jede bei der Vorstellung und Erklärung des Gerätes eines in der Hand halten konnte, um jede Taste und Schalter selbst zu erfühlen. Das erforderte Disziplin, dass nicht jemand einfach „weiter“ macht – aber das klappte ganz gut.

Die zusätzlichen Betreuer, waren gerade auch bei den Aufnahmen sehr hilfreich. Gesprächspartner finden, auf den richtigen Abstand und Richtung von Schallquelle zu Recorder achten. Hierfür ist auch die Kontrolle über die Kopfhörer sehr wichtig – keine Aufnahmen ohne Kopfhörer!

Im nächsten Schritt mussten die Aufnahmen auf den Rechner übertragen und mit Audacity geschnitten werden. Bei vielen Recordern sind die Aufnahmen auf einer SD-Karte gespeichert. Entweder man steckt sie direkt in den Rechner, um die Dateien zu übertragen, oder man verbindet die Geräte per USB-Kabel. Ich verbinde die Geräte lieber per USB, so spart man sich das Hin und Her der Karte.

Audioaufnahmen schneiden

Der große Unterschied beim Schneiden mit Blinden ist, dass wir viel mehr Kurzbefehle (Shortcuts) verwenden. Da, wo Sehende auf „Sicht“ schneiden können, weil man durch die Wellendarstellung z.B. einen Knall an seinem spitzen Ausschlag erkennen können, müssen Blinde sich alles und jede Position „er-hören“. Das freie Audioschnittprogramm Audacity ist sehr barrierefrei und gut mit vielen Kurzbefehlen zu steuern und zu bedienen.
Der folgende ganz kurze Einblick in den Audioschnitt ist eventuell eher für diejenigen gedacht, die schon einmal einen kleinen Einblick in den Schnitt hatten:

Wie kann man Passagen in einer Audiospur markieren, damit man sie z.B. löschen oder kopieren kann? [Übernommen aus der Anleitung von Robbie Sandberg]:
Wichtig: Damit es funktioniert müssen die Kurzbefehle „Links von der Wiedergabeposition“ auf → d und „Rechts von der Wiedergabeposition“ auf → f geändert sein!
➢ Spur durch Enter auswählen und gegebenenfalls durch shift-s Solo stellen.
➢ Während der Wiedergabe durch Cursor-links/rechts kleine Schritte bzw. durch shift-Cursor-links/rechts große Schritte springen, um in die Nähe der gewünschten Stelle zu gelangen.
➢ Am Anfang der gewünschten Passage durch den Shortcut d die linke Auswahlgrenze setzen. Die Wiedergabe läuft weiter.
➢ Am Ende der gewünschten Passage durch den Shortcut f die rechte Auswahlgrenze setzen. Die Wiedergabe durch Leertaste beenden.
Und nun durch STRG + x den Bereich löschen oder STRG + c kopieren.

Es dauert natürlich eine gewisse Zeit, bis man die vielen verschiedenen Kurzbefehle sich soweit gemerkt hat, aber – wie beim Lernen eines Instrumentes –  weiß man auch irgendwann wo welche Note / Taste / Saite etc. liegt. Schwierig wird der Schnitt für blinde Menschen, die z.B. mit nur einer Hand den PC bedienen können, da es Tastenkombinationen gibt, bei denen man die Pfeiltasten, Shift und STRG gleichzeitig drücken muss. Hier könnte man in den Bedienungshilfen, die auf allen Windows-Rechner vorinstalliert sind, die sogenannte Einrast-Funktion aktivieren. Mit dieser lässt sich festlegen, dass die Tasten bei Shortcuts hintereinander und nicht gleichzeitig gedrückt werden müssen.

Durch die vielen Kleingruppen und der sehr begrenzten Zeit habe ich dann die Beiträge fertiggestellt. Mehrere Jugendliche sprachen noch die Moderationen für die Radiosendung ein und ich produzierte die Sendung vor. Über die Webseite vom Medienblitz e.V. kann man sich die einzelnen Beiträge anhören.

  • Ein unvergesslicher Schultag (Hörspiel)
  • Liebeschaos (Hörspiel)
  • Ein Tag in der Familie Koffer (Erzählung)
  • Fridays for Future (Beitrag)
  • BEBSK e.V. (Beitrag)
  • Meine Oma war Erzieherin (Interview)

Am Sonntag war großer Abschied und alle fuhren wieder nach Hause. Die Radiosendung konnten sie über den Livestream im Freien Radio Kassel hören und am Montagmorgen in der Wiederholung. Alle TeilnehmerInnen bekamen natürlich die Sendung und die Beiträge auf USB-Stick oder per Download.

Nach dem Projekt ist vor dem Projekt

Vieles lief sehr gut. Was könnte aber besser laufen?

  • Wenn einem weitere BetreuerInnen zur Verfügung stehen, sollte man Zeit einplanen, um sie vorab etwas fit zu machen, sodass sie selbstständiger ihre Gruppen unterstützen können.
  • Liste der Kurzbefehle und Schnittanweisungen entsprechend aufarbeiten und vervielfältigen.
  • Und Natürlich: MEHR ZEIT – aber das ist leider der Punkt, den man oft nicht ändern kann. 🙁

Für mich war es ein ganz tolles Projekt, mit lauter tollen Jugendlichen, Eltern und dem Team vor Ort. In der Regel ist jedes Projekt sehr anstrengend, aber das herzliche Miteinander, die Begeisterung und die Wertschätzung, die ich in diesem Projekt erfahren und erleben durfte – das ist es, was für mich den Beruf und die Arbeit als Medienpädagogin ausmacht.

Danke!

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