berührungslos Klänge erzeugen

„Hands Off Music“

Gastbeitrag von Sven Hahne

HANDS OFF MUSIC! ist ein Kooperationsprojekt der LVR-Anna-Freud-Schule Köln mit Musikern, Medienkünstlern und Instrumentenentwicklern aus Köln, Göteborg und Belfast. Im Fokus des Projektes stehen die Entwicklung und der Einsatz computerbasierter Musikinstrumente, die für körperbehinderte Menschen in gleicher Weise herausfordernd zu erlernen sind wie für nichtbehinderte Menschen. Das Projekt leistet damit einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Inklusion behinderter Menschen. Es leistet Pionierarbeit im Bereich der Entwicklung berührungsfrei zu spielender Instrumente, auch über die Grenzen des Pädagogischen hinaus. Und es zeigt innovative Wege zur Vermittlung zeitgenössischer Musik.

1. Projektphase: Blobmusic

Welche berührungslosen Instrumente kann es für ein inklusives Musikprojekt mit motorisch stark eingeschränkten Schülern geben und wie führt man Schüler einer 11ten Klasse, deren musikalische Welt meist durch den Mainstream der Musikindustrie geprägt ist, an zeitgenössische Elektronische Musik heran?

Einer der Ansätze von Blobmusic bestand darin, die Prinzipien eines Musikinstrumentes mit der Ästhetik von Computerspielen zu verbinden und das Interesse für das abstrakte Thema der elektronischen Musik durch Spieltrieb zu wecken.

Als Spielbrett wurde ein 5 mal 7 Meter großer Raum eines Klassenzimmers zweckentfremdet, der komplett von einer deckenmontierten Videokamera eingesehen und von zwei ebenfalls an der Decke montierten Videobeamer vollständig anprojiziert werden konnte. Dazu passend wurden kleine, ca. 5 cm lange Leuchtstäbe gebaut, die auf dem Kamerabild als weiße Striche erschienen. Per speziell für diesen Zweck entwickelter Software konnte Position und Richtung dieser weißen Striche (und damit der Spieler) im Raum errechnet werden. Durch das An- und Ausschalten der Leuchtstäbe sowie deren Bewegen im Raum wurde somit eine Interaktion geschaffen, die für alle Schüler gleichermaßen funktional war.

Ein weiterer zentraler Aspekt der Arbeit war das Einbeziehen der Schüler in den Entwicklungsprozess der einzelnen Module. Es wäre unmöglich gewesen, die Schüler in der zur Verfügung stehenden Zeit soweit in die hier verwendeten Programmiersprachen einzuführen, so dass sie in der Lage gewesen wären, ihre eigene Grafik zu schreiben. Stattdessen waren sie umso mehr gefordert, Konzepte und Skizzen für das System zu entwickeln, die anschließend von einem Programmierer umgesetzt wurden.

berührungslos Klänge und Töne erzeugenEs sollten ihre Module, ihre Konzepte, ihre Instrumente sein, für die sie Stücke entwickelten, mit der Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen und diese nach Wünschen zu verändern und zu verfeinern. Viele Module basierten auf Klangbibliotheken, die von den Schülern selbstständig per iPad oder anderer digitaler Aufnahmegeräte gefüllt werden können. Die Module sollten technisch möglichst simpel aufgebaut sein, so dass zum Erzeugen interessanter Klänge vor allem der Akt des Spielens und weniger das Instrument an sich wichtig wurde.

So gab es z.B. ein Modul, das an einen klassischen Schlagzeugcomputer angelehnt war: ein Feld von großen Drucktasten, die jeweils mit einem beliebig austauschbaren Klang belegt sind. Eine Idee der Belegung bestand darin, die Namen von Klingelschildern zu verwenden, diese einzusprechen und als digitales Schlagzeug zu spielen. In einer anderen Variante wurden einzelne Wortsilben eingesprochen, die sich bei schnellem Spielen zu Wörtern, bzw. Unwörtern zusammenfügten.
Man konnte das Modul etwa wie eine Partie Tischtennis spielen, also sich Klänge in schneller Folge als Dialog zuspielen oder sich verschiedene Wege durch die Felder suchen und so unweigerlich assoziative, absurde Sinnzusammenhänge erschaffen.

berührungslos Klänge erzeugenEin anderes Modul war an zwei Schallplattenspieler angelehnt, in Form von zwei Ringen in denen die Wellenform eines zuvor aufgezeichneten Klangs zu sehen war. Per Leuchtstab konnten man gezielt Bereiche skalierbarer Größe dieses Klanges als Endlosschleife abspielen, wobei die Größe des Bereiches so klein sein konnte, dass die Schleife nur noch aus Partikeln des Klanges besteht und zum stehenden Ton wurde. Gespielt wurde das Modul mit zwei Schülern, die per Leuchtstab Klangbereiche auswählten und zwei Schülern, die live immer wieder neue Klänge einspielten.

Nach der sehr erfolgreichen internen Präsentation des Projektes gab es von den Schülern u.a. die Rückmeldung, dass sie sich zu Anfang schon etwas schwer mit dem seltsamen, abstrakten Thema getan hätte, sich aber am Ende des Projektes genauso gewundert hätten, dass sie irgendwann Gefallen an der Sache gefunden hatten und zu, auch für ihre Ohren, interessanten Ergebnissen gekommen waren.

2. Projektphase: Musik im All

Zum Beginn der Projektwoche schrieb jede Schülerin und jeder Schüler einen fiktiven Entdeckerbericht über einen weit entfernten Planeten, den noch niemand vor ihnen zu Gesicht bekam. Anschließend nutzten die Kinder das neuartige Instrumentarium, um einen eigenen Soundtrack für ihren Planeten zu komponieren. Während die Kinder jeweils alleine mit einem der beiden Musiker Iain McCurdy und Staffan Bothzen arbeiteten, schrieben die übrigen Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihren Musik- und Kunstlehrern an ihren fiktiven Entdeckerberichten, produzierten einen intergalaktischen Trickfilm, gestalteten neonbunte Planeten und backten Space-Kekse.

berührungslos Musik machenNik sitzt im Elektro-Rollstuhl und spielt ein Saxophonsolo zur Geschichte seines Planeten indem er die Hand durch die Luft bewegt. Ein Abstandssensor misst die Position seiner Hand und generiert daraus die Tonhöhe.

musik_im_all2 (2)Lauras Arme sind spastisch gelähmt und ihre Bewegungen sehr unkontrolliert. Sie hat einen Soundtrack zu ihren Planeten erfunden. Laura dirigiert hierbei ein virtuelles Orchester, indem sie ihre Hände über zwei tennisballgroße Silberkugeln bewegt. Lichtsensoren übersetzen ihren Schatten in Klänge.

sensorgesteuerte CelliUnsere sensorgesteuerten Celli wurden im Anschluß an das Projekt gebaut und verfügen über Abstands- und Lichtsensoren. So kann man sie spielen, indem man die Hand vor dem Cello auf und ab bewegt oder Schatten darauf erzeugt.

Die Projektwoche endete mit einer tollen Aufführung im Musikraum der LVR-Anna-Freud-Schule. Dieser wurde im Laufe der Woche in eine intergalaktische Landschaft mit neonleuchentenden Planeten, tanzenden Robotern, sphärischen Projektionen und futuristisch anmutenden Instrumenten verwandelt. Die beiden Künstler sprachen kein Deutsch, was den Kindern einen authentischen Anlass bot, ihre Englischkenntnisse anzuwenden und zu vertiefen.

 Weitere Infos

  • Projektleitung Blobmusic: Tobias Dehler
  • Programmierung Blobmusic: Sven Hahne
  • Konzeption Blobmusic: Tobias Dehler & Sven Hahne
  • Projektleitung Musik im All: Ralf Kurley
  • Sensorik und Konzeption: Iain McCurdy & Staffan Bothzen