Kinder mit Behinderung musizieren mit iPads

Barrierefreies Musizieren mit iPads

Ein Gastbeitrag von Patrick Schäfer

Seit dem Schuljahr 2014/2015 besteht an der Schule am Webersberg, Staatliche Förderschule körperliche und motorische Entwicklung in Homburg eine iBand. An der Schule werden rund 130 Schülerinnen und Schüler mit Körperbehinderungen in drei Bildungsgängen (Grund- und Hauptschule, Förderschule Lernen und Förderschule Geistige Entwicklung) unterrichtet. Das Konzept der iBand besteht darin, dass sieben körperlich schwerbehinderte Schüler mit iPads und einer speziellen App (GarageBand) musizieren können, so dass der volle Klang einer Band entsteht.

Video: Die erste Musikprobe im „Appmusik-Studio“

Schlagzeug, Keyboard und Gitarre befinden sich als Touch-Instrumente auf den mobilen Geräten. Der Gitarrist zupft hier nicht die Saiten, sondern streicht rhythmisch mit seinen Fingern über den Touchscreen. Auch die übrigen Instrumente werden per Fingertipp gespielt. Die Instrumente reagieren, wo sinnvoll, auf Anschlagdynamik. Je fester man auf eine Taste, Saite oder Trommel auf dem Touchscreen tippt, umso lauter klingt das Instrument. Im Vergleich zu herkömmlichen Musikinstrumenten sind iPad-Instrumente barrierefrei. Die motorisch stark eingeschränkten Schüler haben so die Chance ihre Musikalität und Kreativität zu erleben. Im ersten Schulhalbjahr wurden mit den Schülern die Instrumentalstimmen der beiden Intros der Songs “Auf uns” von Andreas Bourani und “I got a feeling” von den Black Eyed Peas erarbeitet. Im Folgenden wird das zugrunde liegende pädagogische Konzept vorgestellt. Es besteht aus sechs Planungsschritten. Die ersten fünf rücken vor allem die didaktische Planung als Vorbereitung durch den Lehrenden in den Mittelpunkt und der letzte geht näher auf die Interaktion mit den Lernenden ein.

Methode und Vorgehensweise

1. Auswahl eines geeigneten Songs

In einem ersten Schritt wurden vier Intros aktueller Songs mit niedrigem Einstiegsniveau ausgewählt und zu einem so genannten Mashup (Aneinanderreihung mehrerer Songs mit passenden Übergängen) zusammengefügt. In diesem Video wird der Mashup vorgestellt.

2. Produktion des Songs mit der iPad-App „GarageBand“

In einem zweiten Schritt wurden die einzelnen Instrumentalstimmen des Mashups mit der iPad-App „GarageBand“ in C-Dur produziert. Mit „GarageBand“ können bis zu 32 Tonspuren je Song mit verschiedenen Instrumenten aufgenommen werden. Die 4 Intros des Mashups sind mit je 7 Instrumentalstimmen arrangiert. Jede dieser Stimmen wird später von einem Schüler live gespielt. Video 2 präsentiert die Instrumentalstimmen des ersten Teils des Mashups, das Intro des Songs „Auf uns“, von Andreas Bourani.

3. Erstellen des Notenmaterials

In einem dritten Schritt wurde das Notenmaterial erstellt. Zum Einsatz kommen hier sogenannte Farbnoten. Jedem Ton der C-Dur Tonleiter wird eine eindeutige Farbe zugeordnet. Die Farbtöne werden auf die eingesetzten Instrumente der „GarageBand“ übertragen. Dazu wird zunächst ein Screenshot von dem jeweiligen “iPad-Instrument” gemacht. Anschließend werden die im Song verwendeten Töne auf dem Screenshot farbig markiert. Dies geschieht mit der Annotations-App „Notability“. Unter dem Screenshot werden die Farbnoten des Songs dargestellt. Das erstellte Notenmaterial steht den Schülern als farbiger Ausdruck zur Verfügung. Damit die Musiker die Farbnoten besser auf ihr “iPad-Instrument” übertragen können, wurden entsprechende Farbnoten-Folien angefertigt, die auf das “iPad-Instrument” gelegt werden können.

4. Produktion der Lernvideos

In einem vierten Schritt wurde zu jeder Instrumentalstimme ein Lernvideo produziert. Mithilfe dieser Videos können die Schüler die verschiedenen Stimmen auch selbstständig einüben.

5. Produktion eines eBooks

Im fünften Schritt wurde ein eBook produziert. Es enthält derzeit das Notenmaterial (Schritt 3) und die Lernvideos (Schritt 4) zum Intro des Songs „Auf uns“, dem ersten Teil des Mashups. Das eBook kann sich jeder Schüler auf sein iPad laden. Das ebook wurde mit der App „Creative book builder“ mit den iPad produziert. Im Video 3 wird das eBook vorgestellt.

6. Einüben des Songs mit den Schülern

Zunächst wird die Stimme 1 des ersten Intros mit allen Schülern eingeübt. Der Lehrer spielt eine Sequenz der Stimme 1 vor, die dann nacheinander mit jedem Schüler zunächst einzeln eingeübt wird. Anschließend spielen alle Schüler diese Sequenz zusammen. Beherrschen die Schüler die Stimme 1, erfolgt das Einüben der nächsten Stimme nach dem gleichen Muster. Sind zwei Stimmen eingeübt, werden Schülergruppen gebildet, die nacheinander vorspielen. Somit wird das Zusammenspielen mit zwei Instrumentalstimmen eingeübt. Das Erarbeiten der Stimmen 3-7 erfolgt adäquat.

Ergebnisse

Gegen Ende des Schulhalbjahres beherrschen die Schüler die einzelnen Stimmen der beiden Intros der Songs “Auf uns”, von Andreas Bourani, und “I got a feeling”, von den Black Eyed Peas. Das gemeinsame Musizieren in der Gruppe mit sieben Instrumentalstimmen fällt den Schülern noch schwer und muss kontinuierlich geprobt werden. Im folgenden Video werden die Intros daher noch nicht im Originaltempo vorgetragen, sondern ca. 25 bpm langsamer. Dieses Video wurde als Wettbewerbsbeitrag zum Europäischen SchulmusikPreis 2015 eingereicht. In der Kategorie „Musikalische Arbeit in Arbeitsgemeinschaften Förderschule“ zeichnete die SOMM – Society Of Music Merchants e. V. – am 17.4.2015 das vorgestellte Projekt mit dem Europäischen Schulmusikpreis aus. Die ESP-Jury, zusammengesetzt aus herausragenden Persönlichkeiten aus dem Bereich der Musikpädagogik, begründet die Auszeichnung wie folgt: „Das Projekt „Barrierefreies Musizieren mit iPads“ an der Förderschule am Webersberg besticht durch eine gut durchdachte und an den Bedürfnissen der Kinder orientierten Methode, die in ihrer praktischen Umsetzung beispielhaft ist. Durch die Verwendung von „iPad-Instrumenten“ wird Musik und eigenständiges Musizieren für die Schüler erleb- und erfahrbar gemacht. Mit den ihnen gegebenen Möglichkeiten werden die Schüler in den Arbeitsprozess mit einbezogen; Lernprozesse, aber vor allem die Motivation und Freude am gemeinsamen Musizieren werden sichtbar. Besonders hervorzuheben ist die zeitgemäße Idee des eBook, das speziell für die Schüler aufgearbeitetes Notenmaterial und Lernvideos enthält und ihnen ein selbstständiges Erarbeiten und Einüben ihrer Stimmen ermöglicht. Ein rundum gelungenes Projekt, das fortgeführt werden sollte.“ Dieser Empfehlung der Jury kommen wir nach. Zukünftig ist eine Kooperation mit einem saarländischen Schulchor geplant sowie gemeinsame Auftritte mit der iBand des Kaufmännischen Berufsbildungszenztrums Saarbrücken-Halberg. Unser Ziel ist es, ein inklusives Musizieren mit barrierefreien App-Instrumenten zu ermöglichen.