Teilnehmende der Radio AG der Schule am Marsbruch

Die Radio-AG der Schule am Marsbruch

Aktive Radioarbeit mit Kindern mit und ohne eine eigene Lautsprache – Ein Gastbeitrag von Annette Pola

Radio funktioniert ohne Bilder und hat als Medium bei Kindern und Jugendlichen einen festen Platz im Alltag. „Das Radio spielt (…) nach wie vor eine wichtige Rolle, drei Viertel der Jungen und Mädchen hören mindestens mehrmals pro Woche Radio (73%), jeder Zweite sogar täglich“ (MPFS 2014, 59). Das Radio ist für Schülerinnen und Schüler, die sich nicht gerne vor einer Kamera präsentieren, ein niederschwelliges Angebot (vgl. Griesinger 2011, 36). Radioprojekte ermöglichen neue Lernerfahrungen und Teilhabe.
Heranwachsende mit Behinderungen können an der medialen Welt partizipieren und werden im öffentlichen Raum gehört. Dieser Beitrag stellt ein Schulradio vor, das zusammen mit Schülerinnen und Schüler mit und ohne eine eigene Lautsprache sowie mit unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen an der Schule am Marsbruch, einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Dortmund, regelmäßig durchgeführt wird.

Rahmenbedingungen

Die Radio-AG wurde im Schuljahr 2013 im Rahmen des Schulradioprojekts der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) gegründet und startete im Schuljahr 2013/14 mit dem Radiounterricht. Im Schuljahr 2014/15 konnten weitere Schülerinnen und Schüler an der Radio-AG teilnehmen. Die Unterstützung erfolgte zunächst durch eine Medientrainerin der LfM. Insgesamt arbeitet die Radio-AG in einer festen Konstellation ein gesamtes Schuljahr. Sie ist im Rahmen des Deutsch-Förderunterrichts ein fester Bestandteil in der Mittelstufe der Schule und findet im aktuellen Schuljahr zum dritten Mal statt. Zwei Förderschullehrerinnen sind feste Ansprechpartnerinnen innerhalb der Radioarbeit und leiten die Radio-AG mittlerweile selbstständig.

Zielgruppe

Die Radio-AG richtet sich an 8 – 10 Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe (11 – 14 Jahre) der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Sie haben unterschiedliche Voraussetzungen in allen Entwicklungsbereichen (Kognition, Motorik, Emotion, Kommunikation, Wahrnehmung, Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten). In der Radio-AG lernen Schülerinnen und Schüler mit und ohne Lautsprache gemeinsam. Die Schülergruppe der Radio-AG, besonders aber die unterstützt-kommunizierenden Schülerinnen und Schüler (UK-Schüler_innen) können durch die Teilnahme an der Radio-AG ihre sprachlichen Kompetenzen erweitern. Die unterstützt-kommunizierenden Schülerinnen und Schüler kommunizieren mit nicht-elektronischen und/oder elektronischen Ausgabegeräten (sog. Talker). Sie erleben, dass ihre Talker kein Hindernis für die Medienproduktion darstellen. Weitere Infos zur Unterstützten Kommunikation (UK) gibt es bei der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. 

Ziele

Radioarbeit fördert u.a. die auditive Wahrnehmung und regt zur Partner- und Gruppenarbeit an, da bei einer Radioproduktion verschiedene Aufgaben anfallen. Schulradio fördert Medienkompetenz, die von der Kultusministerkonferenz 2012 gefordert wird. Schülerinnen und Schüler sollen „Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten [erwerben], die ein sachgerechtes, selbstbestimmtes, kreatives und sozial verantwortliches Handeln in der medial geprägten Lebenswelt ermöglichen“ (KMK 2012, 3). Medienkompetenz ist eine Voraussetzung für Bildung und Teilhabe. Das Radioprojekt an der Schule am Marsbruch zeigt, dass die Förderung der Medienkompetenz vielseitig und für alle wichtig ist. Weitere Ziele der Radioarbeit sind:

  • Förderung des sozialen Lernens (Reporterteams, kooperatives Lernen)
  • Förderung der Kommunikation (Austausch über Themen für Interviews und Umfragen, Technikabstimmung, auf andere zu gehen und Interviews führen)
  • Mündlicher Sprachgebrauch (Interviewfragen formulieren)
  • Förderung der selbstverständlichen Nutzung der Talker (UK-Nutzer)
  • Identifikation mit der produzierten Radiosendung (Produkt)
  • Förderung der auditiven Wahrnehmung (Geräusch des Tages als Ritual, Radio hören)
  • Partizipation in der medialen Welt (durch die Ausstrahlung der Radiosendung beim Bürgerfunk)

Technik

Teilnehmende der Radio-AGFür eine aktive Medienarbeit in der Schule bietet das Medium Radio nach Rauscher (2008, 68) und Griesinger (2011, 35f.) einige Vorteile: Die technischen Voraussetzungen sind gering, da die Aufnahmegeräte mobil und einfach zu bedienen sind. Das Erlernen der Aufnahmetechnik sowie das Anschließen des Mikrofons werden gemeinsam erprobt und reflektiert. Es stehen zudem selbsterstellte Handbücher zur Radiotechnik bereit. Diese sind mit detaillierten Fotos der Aufnahmegeräte versehen. Wichtige Funktionen sind mit Worten und Farbe markiert. Wenn ein Kind unsicher in der Bedienung ist, kann es dies nachschlagen. Über geeignete Radiotechnik verfügt die Schule derzeit nicht, daher ist die Kooperation mit der Medientrainerin der Landesanstalt für Medien NRW eine wichtige Unterstützung. Die Technik wird zur Verfügung gestellt. In naher Zukunft wird eigene Radio-Technik angeschafft:

  • 2 Aufnahmegeräte (mit Verbindungskabel, Mikrofone, Akkus und Ladegerät)
  • 1 Laptop mit einem Schneideprogramm und genügend Speicherplatz

Für die erfolgreiche Teilnahme der UK-Schülerinnen und Schüler ist es unabdingbar, dass sie funktionierende Kommunikationssysteme mitbringen. Ihre Talker sollten stets geladen sein und sie müssen so angebracht sein, das sie sie gut ansteuern können.

Durchführung

Die Gruppe trifft sich wöchentlich für einen Zeitblock von insgesamt 90 Minuten (zwei Unterrichtsstunden á 45 Minuten) im Lehrerzimmer. Dieser Raum bietet genügend Raum, Medien und Ruhe, um Radiosendungen planen und produzieren zu können. An der eigenen Radiosendung wird innerhalb eines Schuljahres gearbeitet.

Phasen und Meilensteine

Die Radio-AG orientiert sich u.a. für die aktive Radioarbeit an der Konzeption von Schulradioprojekten von Radio EXLEX aus Mönchengladbach (Thomas Bruchhausen) und den Erfahrungen aus dem Pilotprojekt 2012 (Bosse et al 2012, 111f) an der Hedwig-Dransfeld-Schule (Werl) sowie den bisher gesammelten Eigenerfahrungen. Dabei lernen die Schülerinnen und Schüler in fünf Phasen wie ein sendefähiger Radiobeitrag produziert wird. Das Konzept geht von folgenden Bausteinen aus:

  1. Preproduktion: Einführung in das Thema, Technik und Recherchen von Inhalten
  2. Produktionsphase: Themen für Umfragen finden, Interviewfragen formulieren, Straßen- oder Schulumfrage, Schneiden der Aufnahmen, An- und Abmoderationen gestalten und einsprechen, Musikauswahl
  3. Postproduktion: Weiterarbeit, Verfeinerung, Testen
  4. Distribution: Ausstrahlung der produzierten Beiträge und Präsentation innerhalb der Radio-AG
  5. Reflexionsphase (Bruchhausen 2010).

Medien und Methoden

Ablauplan mit SymbolenIn der Radio-AG findet eine aktive, sehr handlungsorientierte Radioarbeit statt. Aufgaben, wie z. B. eine Umfrage planen, durchführen und schneiden, lassen sich in Aufträgen verteilen, so dass jede und jeder einen Beitrag leisten kann. Es werden unterschiedliche, kooperative Methoden angewandt, Rituale (z. B. „Geräusch des Tages“) durchgeführt, praktische Fertigkeiten aufgebaut und vertieft sowie Radiowissen vermittelt, wiederholt und gefestigt. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten stets in Teams. Im Projekt entwickeln die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Themen und setzen diese radiospezifisch um. Methoden des kooperativen Lernens (z. B, Placemat-Methode) lassen sich gut in die aktive Radioarbeit einbinden. Zu Beginn jeder Unterrichtseinheit liest eine Schülerin oder ein Schüler den Stundenablauf vor. Die einzelnen Phasen sind mit Metacom-Symbolen versehen, da nicht jedes Kind lesen kann. Eine Stunde in der Radio-AG sollte transparent und strukturiert sein. Rituale zum Stundenanfang und -ende motivieren die Kinder zusätzlich. Angefangen wird immer mit dem „Geräusch des Tages“. Dabei führen die Kinder ein Geräusch vor, welches dann erraten werden muss. Es folgen aktuelle Aufgaben für die Produktion der Sendung. Die „Abschlussrakete“ stellt den Abschluss dar: Es wird auf den Beinen getrommelt und beim „Steigen“ der Rakete (Hände gehen in die Höhe) wird „Und Tschüss“ gerufen.

Ergebnisse

Produkt

Ziel der Radio-AG ist die Produktion einer eigenen Radiosendung, die beim Bürgerfunk des lokalen Radiosenders für Dortmund ausgestrahlt wird. Beide bisher erstellten Radiosendungen sind im Forum der Schule am Marsbruch zu hören. Die fertige Radiosendung wird gemeinsam gehört. Anschließend wird über das Gehörte gesprochen, Leitfragen sind z. B.: Wie war es, die eigene Stimme zu hören? Wie zufrieden seid ihr mit dem, was ihr gehört habt? War es spannend, eure Themen jetzt als komplette Sendung zu hören?

Gelingensbedingungen

Eine Radio-AG lebt von guten Kooperationen der beteiligten Akteure (Lehrerinnen und Lehrer, Medientrainerinnen und Medientrainer) und benötigt gute Absprachen und Strukturen. Zudem braucht es eine gute Unterstützung der Schulleitung sowie die Mitarbeit und Akzeptanz anderer Kolleginnen und Kollegen der Schule, wenn zum Beispiel zu verschiedenen Zeitpunkten Interviews erfolgen. Es hat sich als günstig erwiesen, dass mehrere nichtsprechende Schülerinnen und Schüler in der Gruppe waren. Die Kinder können sich gegenseitig unterstützen und motivieren.

Teilnehmende der Radio-AGDie Umfragen werden in Teams geplant und durchgeführt. Eine gute Begleitung und Strukturierung für eine gelingende Teamarbeit ist daher wichtig. Ziele für einzelne Produktionsphasen sollten transparent gemacht und mit der Gruppe besprochen werden. Die Produktion einer Radiosendung braucht viel Zeit, das darf nicht unterschätzt werden: Zwischenreflexionen sind notwendig, um einen Überblick zu erhalten und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Weitere Tipps im Bereich der Unterstützten Kommunikation

Da immer wieder auch technische Probleme mit den Hilfsmitteln auftreten können ist für die nichtsprechenden Kinder ein Vokabular, das von der Technik unabhängig ist (z. B. eine Kommunikationsmappe) günstig. UK-Ergotherapeut_innen, die die UK-Kinder gut kennen, können ergänzend während der gesamten Unterrichtszeit mitarbeiten. Die Lehrer_innen sollten sich gut mit dem Vokabular der elektronischen Kommunikationshilfe auskennen und sie hinreichend bedienen können.

Stolpersteine

Die Postproduktion stellt für einige Schülerinnen und Schüler motorische und kognitive Herausforderungen dar. Bei der Postproduktion lernen die Schülerinnen und Schüler das Schnittprogramm „Samplitude“ kennen. Unterstützt werden sie dabei durch eine Beamer-Präsentation, auf der jeder Arbeitsschritt kleinteilig dargestellt wird. Beschränkt werden die Aufgaben auf das Anordnen der Objekte auf der Timeline, das Löschen von O-Tönen und das Aneinanderfügen in einer selbst bestimmten Reihenfolge. Die Administration des eigenen Projektes und vertiefende Schnittarbeiten werden bewusst ausgelassen, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern. Im Laufe des Schuljahres wird das Schneiden der Radiosendung von den Sonderpädagoginnen in enger Absprache mit den Schülerinnen und Schülern und ihren jeweiligen Themen übernommen. Dazu werden die Fortschritte beim Schnitt regelmäßig vorgespielt und auf Wunsch der einzelnen Arbeitsgruppen entsprechend geändert. Im aktuellen Schuljahr wird das kostenlose Schnittprogramm „Audacity“ eingeführt und erprobt.

Feedback zur Radio-AG

Baacke-Preistraeger1Die Beiträge der Radio-AG erfahren eine große und positive Resonanz und werden vielfach im Schulforum oder in anderen Klassen der Schule gehört und diskutiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Radio-AG sind innerhalb der Schule sehr bekannt und die Vorfreude auf neue Radiobeiträge ist bei der gesamten Schülerschaft, dem Kollegium, den Eltern und Freunden der Schule am Marsbruch sehr groß. Die Radio-AG ist inzwischen ein fester Bestandteil in den Förderangeboten der Mittelstufe der Schule am Marsbruch und kann im Sinne der Nachhaltigkeit fortgeführt werden. Die Radio-AG hat den Dieter Baacke Preis 2015 in der Kategorie Intergenerative und integrative Projekte gewonnen. Das positive Feedback sowie diese wertvolle Ehrung machen alle Beteiligten stolz und motivieren für weitere Radiosendungen!

Fazit

Radio ist ein geeignetes Medium, um inklusiv zu arbeiten. Jedes Kind, jeder Jugendliche bringt unterschiedliche Kompetenzen und Erfahrungen mit. Dies ist sehr bereichernd für eine eigene Radiosendung, die sich an die Lebenswelt der Teilnehmenden orientiert. Die Aufgaben innerhalb der Produktion sind sehr verschieden, so dass alle ihre Stärken einbringen können. Und: Radio macht Spaß! Für die Umsetzung eines Schulradios kann eine Kooperation mit Medientrainerinnen und Medientrainern sehr bereichernd sein. Bei der Landesanstalt für Medien NRW können Interessierte viele Informationen zum Thema Radio sowie über Förder- und Beratungsmöglichkeiten und das Antragsverfahren erhalten: schulradio[at]lfm-nrw.de.

Adressen & Kontakt

Schule am Marsbruch
LWL-Förderschule
Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung
Marsbruchstraße 176
44287 Dortmund
Tel.: 0231 53470-2100
E-Mail: schule-am-marsbruch[at]lwl.org
Web: www.marsbruch.net 
Radio-AG im Forum: www.marsbruch.net/radioag

Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM)
Zollhof 2
40221 Düsseldorf
Internet: www.lfm-nrw.de

Ansprechpartner:
Peter Schwarz
Telefon: 0211/77007-180
Telefax: 0211/77007-335
E-Mail: PSchwarz[a]lfm-nrw.de

Literatur

  • Bosse, I.; Claßen, C.; Eschkotte, D.; Schwarz, P. (2012): Hier steckt alles drin – Radioarbeit mit körperbehinderten Schülerinnen und Schülern. In: Bosse, I. (Hg.) (2012): Medienbildung im Zeitalter der Inklusion. Düsseldorf: LfM-Dokumentation, Band 45, 111-120.
  • Bruchhausen, T. (2010): Das Schulradioprojekt für die Klassen 7 – 10. Unveröffentlichtes Manuskript der EXLEX. Mönchengladbach.
  • Griesinger, S. (2011): Chance Internet-Radio? Ansätze, Probleme und Potenzial der Radioarbeit im Internet. In: medien + erziehung, Jg. 55, Heft 2, S. 34 – 41.
  • KMK – Kultusminister Konferenz (2012): Medienbildung in der Schule. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 8.3.2012 [30.11.2015].
  • MPFS – Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (Hrsg.; 2014): JIM-Studie 2014. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, [30.11.2015].
  • Rauscher, M.S. (2008): Medienpädagogische Radioarbeit in der Schule. Medienkompetenz und Medienerziehung – zur empirischen Überprüfung eines Modellversuchs. Stuttgart: Ibidem.

Infos zur Autorin

Annette Pola ist Heilerziehungspflegerin und Sonderpädagogin. Sie ist seit 2014 Förderschullehrerin an der Schule am Marsbruch, Dortmund. Annette Pola gründete die Radio-AG in ihrem Referendariat und unterrichtet diese seit dem Schuljahr 2013/14. Weiter ist sie Lehrerin der Klasse 10a. Mit der Klasse 10a entstanden schon einige medienpädagogische Projekte, wie z.B. Trickfilme, digitale Lebensgeschichten und ein Film zum Thema Riesenball. Mit dem Thema Cybermobbing und Computerspiele beschäftigten sich die Jugendlichen ebenfalls. Sie ist zudem wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dortmund, Fakultät Rehabilitationswissenschaften, Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Inklusive Medienbildung, DaZ/DaF und Unterstützte Kommunikation.