Rose Jokic, Dozentin des Fortbildungstages Untertitel und Audiodeskription erstellen

Audiodeskriptionen von Kurzfilmen

Ein inklusives Medienprojekt von Rose Jokic

Audiodeskriptionen sind Filmbeschreibungen, die blinden Menschen den Zugang zu Filmen ermöglichen, indem alle visuellen Informationen, die zum Verständnis notwendig sind, zwischen den Dialogszenen beschrieben werden. Audiodeskriptionen sind leider immer noch Mangelware und insbesondere für Kurzfilme sind sie praktisch nicht existent. Mit diesem Projekt sollte daher eine Lücke geschlossen werden, in dem Kurzfilme mit Audiodeskriptionen versehen werden. Die Projektteilnehmenden lernen dabei, wichtige visuelle Informationen zu filtern und diese so in Audiokommentaren umzusetzen, dass sie genau in die Lücken zwischen den Dialogszenen eingefügt werden können.

Ziele

  • Die Teilnehmenden lernen die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderung hinsichtlich der Nutzung und des Zugangs zu Medien kennen.
  • Die Teilnehmenden lernen, wesentliche Aussagen visueller Informationen zu verfassen und in zeitlich passenden Texten möglichst objektiv wieder zu geben.
  • Die Teilnehmenden lernen, Texte einzusprechen, aufzunehmen und als Audiodeskription in einen Film einzufügen.
  • Die Teilnehmenden mit und ohne Behinderung arbeiten gemeinsam in einem Projekt mit dem Ziel, Medien barrierefrei zu gestalten

Ablauf

Ursprünglich war geplant, das Projekt in der Medienwerkstatt des Soziokulturellen Zentrum Villa Leipzig durchzuführen. Die Werkstatt war auch sehr angetan und interessiert, das Projekt in sein Programm aufzunehmen, leider lagen jedoch trotz umfangreicher Akquise-Maßnahmen bis kurz vor Projektbeginn nicht genug Anmeldungen vor, so dass das Projekt kurzfristig umgeplant wurde und in der Winterferienwoche bei barrierefrei kommunizieren! in Berlin stattfand und von einem Medienpädagogen unterstützt wurde. Die Teilnehmenden waren sowohl sehbehindert als auch sehend, ein Teilnehmender hatte Förderbedarf im sozial-emotionalen Bereich. Die Projektleitung ist selbst blind und als Expertin im Bereich Barrierefreiheit tätig, der Medienpädagoge konnte bereits einige Erfahrungen mit inklusiven Medienprojekten sammeln und ist medientechnisch sehr versiert.

Einführung in das Thema Audiodeskription

Zunächst wurde ein Film geschaut, der in das Thema Audiodeskription einführte und sehr gut darstellte, was eine Audiodeskription ist, nach welchen Regeln sie erstellt wird, wie sie technisch umgesetzt wird und für wen sie gedacht ist: „Der zu beschreibende Film wird angeschaut, die Szenen werden den Nichtsehenden beschrieben. Es wird über die Szenen diskutiert, bei welchen Nichtsehende Schwierigkeiten haben, der Handlung zu folgen. Die Interpretationen werden erläutert. Manchmal kann man etwas hören und das richtig oder falsch deuten: Das wird genau besprochen, damit es keine Missverständnisse gibt. Wenn alle Szenen durchgesprochen worden sind, können die visuellen Eindrücke formuliert werden. Sie müssen genau in die Pausen zwischen den Dialogen passen.

Regeln für Film-Beschreibungen

  • Sie müssen objektiv und wertfrei sein und zur Atmosphäre des Films passen.
  • Die handelnden Personen müssen benannt werden an den passenden Stellen.
  • Wichtige Filmgeräusche und die für die Stimmung vorgesehene Filmmusik werden nicht übersprochen.
  • Die Beschreibung besteht aus kurzen, verständlichen Sätzen.

Wenn diese Regeln beachtet werden, können die Beschreibungen aufgeschrieben werden. Wichtig ist, dass vor jeder Audiodeskription der letzte Satz des Dialogs mit Sekundenangabe steht, damit später im Tonstudio die Leute beim Mischen wissen, wo genau sie die Aufsprache einsetzen müssen. Diese Sekundenangaben nennt man Timecode. Nachdem die Beschreibungen aufgeschrieben wurden, müssen sie aufgenommen werden: Jemand nimmt genau die Beschreibungen auf, die zwischen den Dialogen eingesetzt werden müssen. Jemand anderes achtet auf die Zeit. Es ist wichtig, dass die Zeit beim Aufsprechen genau beachtet und gemessen wird. Wenn die Beschreibungen zu lang geworden sind, müssen sie gekürzt werden. Das Team bespricht dann gemeinsam, welche Informationen wichtig sind und bleiben müssen und welche gelöscht werden können. Die Intention, also die Botschaft des Films, soll übertragen werden und manchmal können nicht alle Einzelheiten beschrieben werden aus Zeitgründen.

Der Sprecher oder die Sprecherin sollte eine neutrale Stimme dafür einsetzen. Das ist wichtig, damit man nicht während des Films von der Sprechweise abgelenkt wird. Ziel ist, dass blinde Zuschauer die Beschreibungen nicht als Zusatz empfinden, sondern dass diese sich in den Filmverlauf fügt. Dann wird die Aufsprache im Tonstudio in den Film eingespielt. Dafür muss eine zweite Tonspur gelegt werden und in dem Film werden die Spuren dann abgemischt. Der Film hat am Ende dann zwei Tonspuren, die parallel ablaufen. An den Stellen, wo die Audiodeskription ist, kann die Film-Tonspur leise gedreht werden.

Wieso wird das gemacht?

Audiodeskriptionen sind wichtig, damit blinde Menschen die Handlung, aber auch die Ästhetik von Filmen verstehen. Auf diese Weise können blinde Zuschauer am Film- und ganz allgemein am kulturellen Geschehen teilhaben. Menschen, die später in ihrem Leben erblindet sind und vorher gerne Filme geschaut haben, ermöglichen Audiodeskriptionen dies weiterhin zu tun. Menschen, die von Geburt an blind sind, hilft die Audiodeskription eine Vorstellung vom visuellen Geschehen zu bekommen. Beispielsweise bekommen sie so Details gesellschaftlicher Gepflogenheiten mit, die sie sonst nicht erhalten würden, z. B.in Bezug auf Modestile, Wohnungseinrichtungen etc. Sie erfahren auch etwas über Körpersprache, Mimik und Gestik und über das Verhalten von Menschen aus anderen Kulturen. So sind Blinde und sehbehinderte Menschen durch die Filmbeschreibung auf dem gleichen Wissensstand wie Sehende und können über Filme kommunizieren.“

Themen und Filme-Auswahl

Im Anschluss an die Einführung wurden Kurzfilme angeschaut und darüber abgestimmt, für welche Filme Audiodeskriptionen angefertigt werden sollten. Zur Auswahl standen Kurzfilme zu den Themen Freundschaft, Mobbing, Liebe, Beziehung, Barrieren, Leben mit 24-h-Assistenz, Homosexualität.

Aufgaben und Aufnahmen

AufnahmegerätDie Projektteilnehmenden entschieden sich für den Film zum Thema Freundschaft. Nun wurden die Aufgaben verteilt, zur Auswahl standen:

  • Beschreiber
  • Autor
  • Zeitmesser
  • Sprecher
  • Aufnehmer

Die Aufgaben wurden rasch verteilt und die Teilnehmenden starteten mit der Filmbeschreibung. Szene für Szene wurde der Film vor und zurück gespult und die visuellen Aspekte beschrieben. Eifrig wurde mitgeschrieben und formuliert. Es gab viele anregende Diskussion und alle Teilnehmenden waren sehr motiviert bei der Sache.

Auf dem Programm des nächsten Projekttags standen neben der weiteren Überarbeitung der Beschreibungen, Schnitt und Tonaufnahmen an. Die Teilnehmenden diskutierten lebhaft über die Inhalte und formulierten diese so um, dass sie in die Zeitrahmen, also in die Sprechpausen zwischen den Dialogen im Film passten. Die Zeitmessung zwischen den Dialogen konnte dank des Schnittprogramms automatisch sekundengenau erfolgen, was die Arbeit des Zeitmessens erleichterte. Erste Probeaufnahmen starteten von dem wie folgt gemeinsam formulierten Beschreibungstext:

„An einem Bahnhof im Winter:
Zwei Jungs sitzen in einem Wartehäuschen.
Einer der Jungs trinkt aus einer Whiskyflasche und reicht sie weiter.
Einer schaut fragend.
Zu Marco.
Ein Zug.
Lars.

4 schwarz gekleidete Typen steigen aus und bauen sich
im Halbkreis um Lars auf.
Einer schubst ihn.
Und zieht ihm die Mütze vom Kopf.
Lars steht auf.
Beschwichtigt.
Freund schaut skeptisch.
und geht zu Marco.
Sie gehen.

Ein Baseballschläger taucht auf.
Ungläubig schaut er Marco an und wendet sich ab.
Rangelei.
rennt los.

Standbild: Im Sprung mit geballter Faust
haut er zu.
Die Schlägerei ist im vollen Gang.

Schwarzblende.
Schriftzug:
Der Sieger hat viele Freunde
Aber der Besiegte hat gute Freunde

Die Anfangsszene im Wartehäuschen wiederholt sich. Die beiden Jungs tragen Sonnenbrillen.
Sie nicken sich grinsend zu, nehmen die Sonnenbrillen ab und zum Vorschein kommen die blau geschlagenen Augen.
Lars setzt seine Mütze auf, sie nehmen die Flasche und gehen.

Schwarzbild
Lars wirft einen Schneeball und der Freund trifft ihn mit dem Baseballschläger und streckt jubelnd die Arme in die Luft.
Ende.“

Anschließend wurden die Aufnahmen gemacht: Ein Teilnehmender sprach die Beschreibungen und ein anderer die Hinweise auf dem Bildschirm. Während der Aufnahmen achteten die anderen Teilnehmenden auf die Zeit, auf die Sprechweise und die genauen Inhalte. Die Aufnahmen konnten am Computer unter medienpädagogischer Leitung überarbeitet werden, so dass die Höhen, Abstände etc. angepasst und die Beschreibungen den jeweiligen Szenen im Film zugeordnet werden konnten.

Am nächsten Projekttag sollte die Tonbearbeitung am Computer fortgeführt werden und die Aufnahmen auch mit weiblichen Stimmen gemacht werden. Die Aufsprachen vom Vortag mit männlichen Stimmen wurden am Computer verfeinert und die Tonspur in den Kurzfilm eingebunden. Die Aufnahmen mit weiblichen Stimmen konnten jedoch nicht erfolgen, da die Bereitschaft einer Teilnehmerin dazu nicht mehr vorhanden war. Es ergab sich eine nicht zuvor geklärte Problematik, da die Teilnehmerin ihre Hörbehinderung verbergen wollte und somit mit der Aufgabe überfordert wäre. Sie beteiligte sich dennoch am Schnitt der Tonaufnahmen, indem sie die lauten und leisen Töne zur genauen Anpassung filterte.

Abschluss

Zum Abschluss wurde vorgeschlagen, einen Film in voller Länge mit Audiodeskription gemeinsam anzuschauen. Es erfolgten Filmvorschläge sowie Abstimmungen darüber, welche angeschaut werden sollten. Leider konnte der Film jedoch nicht angeschaut werden, da es in der Videothek keine Möglichkeit gab, Filme mit Audiodeskription auszuleihen. Vorhanden war dort ein einziger Film mit Audiodeskription, welcher jedoch auch verliehen war. Dies verdeutlichte noch einmal nachdrücklich, wieviel noch zu tun ist, damit Audiodeskriptionen zumindest so verbreitet sind wie Untertitel.

Es wurde schließlich eine Serie aus der Mediathek von ARD im Internet angeschaut. Die Audiodeskription war dazu sehr anschaulich und die Teilnehmenden machten sogar zwischendurch die Augen zu, um sich voll darauf einzulassen.
Nach einer Feedback-Runde wurden die Zertifikate verteilt und die Teilnehmenden verabschiedet.

Fazit

Teilnehmende eines Audiodeskriptionsprojekts vor dem RechnerDie Teilnehmenden haben viel gelernt, die meisten können sich ein weiteres Audiodeskriptionsprojekt vorstellen. Erste Kooperationsgespräche mit professionellen Filmbeschreibern gab es schon im Vorfeld und eine anknüpfende Zusammenarbeit ist geplant. Inklusives Arbeiten kann dadurch erschwert werden, dass einige Teilnehmende damit überfordert sind, eigene Entscheidungen zu treffen, weil ihnen dies in den Einrichtungen, in denen sie bislang gelernt haben, weitgehend abgenommen wurde. Hier bedarf es ggf. mehr Unterstützung und sehr klarer Anweisungen.

Inklusives Arbeiten kann ebenfalls erschwert sein, wenn Bedarfe oder Einschränkungen nicht zuvor klar geäußert oder erfragt werden. Dies macht sich spätestens bei der Aufgabenverteilung bemerkbar, denn es kann zu Überforderung führen. Andererseits ist es bei der Aufgabenverteilung auch wichtig, genügend Aufgaben für alle einzuplanen, damit keine Unterforderung entsteht. Für jemanden wie mich, die nicht täglich mit Jugendlichen arbeitet, ist die Durchführung und Organisation eines solchen Projekts mit großem Mehraufwand verbunden. Als nebenberufliches Projekt mit wenig Erfahrung in der Jugendarbeit eignet es sich daher besser als Teamprojekt: Durch die großartige Kooperation und die fachliche Unterstützung des Kooperationspartners barrierefrei kommunizieren! und insbesondere des Medienpädagogen Stefan Rinshofer war es möglich dieses Projekt durchzuführen. Ein großes Dankeschön für das Gelingen des Projekts an die Teilnehmenden und an die Mitwirkenden aus Berlin!

5 Punkte, was bei der Planung beachtet werden sollte

  • Menschen mit und ohne Behinderung ansprechen.
  • Verschiedene Kommunikationskanäle nutzen: Telefon, Internet, Fax, Brailleschrift etc.
  • Sich in der Jugendszene gut auskennen: Was mögen die Jugendlichen, was sind die aktuellen Themen, die sie ansprechen?
  • Genügend Zeit, Aufgaben und Material für die Durchführung und Vorbereitung einplanen.
  • Auf die Barrierefreiheit achten: Von Räumlichkeiten, von Computerarbeitsplätzen, der Kommunikation etc.

5 Punkte, was bei der Durchführung beachtet werden sollte

  • Barrierefreie Zugänglichkeit für alle Beteiligten.
  • Jeder soll sich aktiv bei der Durchführung im Projekt einbringen können.
  • Genügend Zeit für die Arbeit, aber auch für die Pausen einplanen.
  • Hilfestellung bei Bedarf anbieten.
  • Gemeinsam am Ziel mitwirken und das Endergebnis bewundern, ohne Wertung über die Arbeit Einzelner.

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