Makey Makey und Scratch

Themenmonat 3 +++ Computerspiele und assistive Technologien

Bericht über den Fortbildungstag von André Naujoks und Daniel Heinz

Am 10. November 2016 fand der dritte Fortbildungstag im Rahmen von Nimm! on Tour statt: Computerspiele und assistive Technologien, durchgeführt von den Inklusions-Scouts Daniel Heinz vom Spieleratgeber NRW und André Naujoks von barrierefrei kommunizieren! Die Verbindung beider Themen liegt auf der Hand: Computerspiele sind bestens geeignet, um inklusive Prozesse zu fördern. Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung können gemeinsam Spielen, Spaß haben, sich kennen lernen und Berührungsängste abbauen. Mit Computerspielen können auch Zielgruppen erreicht werden, die sonst eher schwer für „klassische“ medienpädagogische Angebote zu begeistern sind. Und Computerspiele können auch von Jugendlichen mit Behinderung häufig gespielt werden – aber eben nicht alle Spiele von allen!

Hier wird das Thema unterstützende Technologien relevant: Das sind Technologien, die es ermöglichen, dass Menschen mit Behinderung, die keine herkömmlichen Eingabetechnologien wie Tastaturen und Mäuse oder Standard-Controller nutzen können, Computer nutzen können. Beispiele sind z. B. eine Maussteuerung via Mundcontroller oder Kopfbewegungen, die von einer Webcam erfasst und in Mausbefehle übersetzt werden. André Naujoks zeigte in seinem einführenden Input einige Beispiele für technische Hilfen, die es für Menschen mit Behinderung gibt: Bildschirmtastaturen (die z. B. in Windows im Center für Erleichterte Bedienung aktiviert werden können) ermöglichen  gelähmten Nutzern alternative Zeigegeräte das Schreiben. Auch Spracheingabetechnologien und Diktiersoftware ermöglichen allen, die entweder nur schwer oder gar nicht mit den Händen Eingabetechnologien bedienen können, die Steuerung eines Computers und die Texteingabe. Für Menschen mit Sehbehinderungen gibt es z. B. Vergrößerungssoftware, Sprachausgabeoption und sehbehindertenangepasste Tastaturlayouts. Für Menschen mit eingeschränkter Handmotorik gibt es zahlreiche Spezialmäuse, die entweder speziell geformt sind oder die z. B. sehr leicht auslösen, so dass weniger Kraft benötigt wird.

Daniel Heinz leitete über zum Zusammenhang zwischen Games und Inklusion. Zunächst illustrierte er anhand von Zahlen und Diagrammen, wie viele Menschen in Deutschland Computerspiele spielen, welche und auf welchen Plattformen. Egal, ob Minecraft, FIFA, League of Legends – was machte die Faszination von Computerspielen aus? Zentral ist, das Gefühl von Selbstwirksamkeit, wenn man Probleme lösen kann, die genau das richtige Maß an Herausforderung bieten, also weder zu schwer noch zu leicht sind. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die soziale Eingebundenheit, ob nun beim gemeinsamen Spielen „in echt“ oder im virtuellen Raum oder einfach nur um mitreden zu können. Barrierefreier Zugang zu Games heißt also auch: Teilhabe zu diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich zu ermöglichen.  Problematisch ist jedoch, dass ein Großteil der Mainstream-Spiele nicht barrierefrei sind – aus Kostengründen, mangelndem Problembewusstsein oder aus ästhetischen Erwägungen heraus.

makey Makey am LaptopMehrere Stationen gaben im Anschluss umfassend Gelegenheit zum Spielen, Ausprobieren und Wissen umsetzen:

  • An Station I konnte mit Knete und diversen Alltagsgegenständen mit dem Bastelkit MaKey MaKey ein alternativer Controller gebaut werden.
  • An Station II konnten verschiedene Computerspiele mit alternativer Steuerung gespielt werden: Moorhuhnjagd mit Mundmaus, Go Ollie mit der Kopfsteuerung Eviacam aber auch Mainstream-Alternativ-Steuerungen wie Kinect.
  • An den Stationen III und IV konnte überprüft werden, inwiefern bekannte Konsolenspiele und Spiele auf dem iPad den Game Accesscibility Guidelines entsprechen – die Richtlinien bieten Anhaltspunkte dafür, welche Kriterien ein barrierefreies Spiel ausmachen
  • An Station V konnte ein sehbehindertenangepasster Computerarbeitsplatz mit Vergrößerungssoftware genutzt werden sowie ein Audiospiel wie Der Tag wird zur Nacht ausprobiert werden.

Natürlich wurden auch kontroverse Themen nicht ausgeblendet, wie die Diskussionen um Computerspielesucht oder die Frage, ob gewalthaltige Computerspiele Aggressionen fördern: Dabei wurde klar: Kommt es zur Computerspielsucht oder aggressivem Verhalten sind Computerspiele nur einer unter vielen anderen möglichen Faktoren. Klar ist aber auch: erzieherischer Jugendmedienschutz ist wichtig! Dies betrifft auch andere Aspekte, die sich aus der zunehmenden Digitalisierung und veränderten Vertriebsmodellen bzw. Spieleplattformen wie z. B. Smartphones ergeben: So enthalten auch scheinbare Umsonst -Spiele mögliche bzw. versteckte Kosten, die für Kinder und Jugendliche nicht immer durch- bzw. überschaubar sind.

Mann mit VR-Brille vor ComputerspielSmartphones und Tablets sind aber nicht nur als Gaming-Plattform interessant, sondern sie bieten gerade für Menschen mit Behinderung viele Möglichkeiten, da sie durch die vorinstallierte Bedienungshilfen an verschiedene Bedarf angepasst werden können, wie André Naujoks vorstellte. Eine umfangreiche Übersicht über die vorinstallierten Bedienungshilfen in Tablets und Smartphones gibt es hier. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche Apps für die verschiedensten Bedarfe, die Smartphones und Tablet zu einem nützlichen Werkzeug machen, wenn Sinnes-, Lern- oder körperliche Einschränkungen hat. Vorgestellt und ausprobiert wurden folgende Apps (und weitere App-Tipps gibt es hier):

  • Let me Talk (Android): eine kostenfreie UK-App für Menschen ohne verständliche Lautsprache, die sich durch die Kombination von Symbolen mitteilen
  •  Swype (Android, iOS), die bekannte App zum  Schreiben „mit einem Wisch“ ist auch für einige Menschen mit motorischen Einschränkungen sehr interessant, da man die Buchstaben nicht exakt treffen muss
  •  Type and Speak (Android) und Meine zweite Stimme (Android) – zwei simple, aber effektive Sprachausgabe-Apps für Menschen, die schreiben, aber nicht sprechen können
  • Textfee (Android): Kostenfreie OCR-App mit Sprachausgabe. Texte abfotografieren und vorlesen lassen. Interessant für Menschen mit Leseschwierigkeiten.
  • Spread Signs: Kostenfreie App auf Basis des Gebärdenlexikons Spread the Sign
  • Dragon Dictation: Spracherkennung und Umwandlung in Text. Interessant für Menschen mit motorischen Einschränkungen. Kann die Kommunikation mit Hörbehinderten unterstützen.
  • Abilipad: Lernapp, mit der man unendlich viele creative Tastaturlayouts gestalten kann. Wortvorhersage und Vorlesefunktion unterstützen beim Lesen und Schreiben lernen.
  •  TouchMe UnColor Pro und Finger Paint: Einfache Mal-Apps zum Heranführen an die Tablet-Nutzung, die Tasterbedienbar sind, d. h. auch für Kinder mit schweren Körperbehinderung nutzbar sind.

Zum Abschluss stellte Daniel Heinz noch einige interessante Projekte aus der Jugendarbeitspraxis vor, einige der Beispiele wurden bereits inklusiv durchgeführt, andere der Projekte wurden auf ihre inklusiven Potenziale hin analysiert:

Ein randvoller Tag also mit einer ausgewogenen Mischung aus Information, Ausprobieren und Spielen. Zu jedem Thema fand auch eine anregende Diskussion statt, z.B. dass insbesondere im Konsolenbereich sehr wenig auf Barrierearmut geachtet wird. Bereichernd für die Teilnehmenden war auch, dass eine Gruppe von Jugendlichen mit und ohne Behinderung am Workshop teilnahm und gewissermaßen als Live-Spieletester fungierten. Barrierefreiheit ist dabei nicht gleich Barrierefreiheit: So testete z. B. ein Jugendlicher mit Autismus das Audio-Game „Der Tag wird zur Nacht“, das allein auf akustischer Orientierung basiert und so auch von blinden Menschen  gespielt werden kann. Der Jugendliche kam dabei mit der akustischen Orientierung gar nicht zurecht, ihm wurde regelrecht übel. Bedürfnisse sind also sehr verschieden, wichtig ist, dass es möglichst viele Antworten in Form von passenden Spielen für jeden gibt.