Medienscouts

Peer Education „leicht gemacht“

Medienscouts entwickeln Infomaterial in Leichter Sprache zum Thema Cybermobbing. Gastbeitrag von Bianca Post

Das in diesem Bericht beschriebene Praxis-Projekt wurde im Rahmen der Weiterbildung „Inklusive Medienpädagogik“ von Janine Girard (Stadt Gütersloh) und Bianca Post (Deutscher Kinderschutzbund, Ortsverband Bielefeld e. V.) mit den Medienscouts der Anne-Frank-Schule (Gesamtschule, Gütersloh) durchgeführt.

Qualifizierte medienpädagogische Informations- und Arbeitsmaterialien zum Thema Cybermobbing werden in umfangreicher Auswahl sowohl für pädagogische Fachkräfte und Eltern als auch für Kinder und Jugendliche angeboten. Für das Verständnis dieser Materialien sind in der Regel ein gut ausgebildeter Wortschatz und gute Lesekompetenzen erforderlich. Das Angebot für Menschen mit  Lern- und Leseschwierigkeiten dagegen fällt bislang leider gering aus.Diese Situation wurde im Rahmen des Praxis-Projekts „Peer Education ‚leicht gemacht‘: Medienscouts entwickeln Infomaterial in Leichter Sprache zum Thema Cybermobbing“ aufgegriffen: Die Medienscouts der Anne-Frank-Schule entwickelten für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ein Plakat, das leicht verständlich Hilfemöglichkeiten bei Cybermobbing erläutert. Den Plakatinhalten entsprechend wurden Arbeitsvorlagen erarbeitet, welche die Medienscouts u.a. für Workshops in inklusiven Lerngruppen einsetzen können.

Der pädagogische Fokus wurde hierbei bewusst auf Hilfemöglichkeiten und zwar auf die Beratungslandschaft und weniger auf technische Intervention gerichtet. Zum einen sind die Beratungsangebote vor Ort vielen Kindern und Jugendlichen nicht bekannt. Über Beratungsmöglichkeiten ausführlich informiert zu sein bedeutet aber immer, Alternativen wählen zu können (z.B. wenn man sich dem Schulsozialarbeiter an der Schule nicht anvertrauen möchte und nun die Möglichkeit kennt, sich an die Jugendmedienschützerin der Stadt wenden zu können). Zum anderen ist es im Sinne der leichten Sprache, Informationen prägnant und übersichtlich zu transportieren. Der durch die Plakatgröße vorgegebene Gestaltungsraum sollte daher nicht durch ein zuviel an Informationen überfrachtet werden.

Ein dritter Punkt, der für diese Schwerpunktsetzung spricht, ist, dass technische Möglichkeiten wie das Blockieren der Täterinnen und Täter oder das Wechseln der Handynummer etc. im sozialen Umfeld von Mädchen und Jungen erfahrungsgemäß häufiger kommuniziert werden als das Thema „Hilfe holen“.

Die Projektziele…

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  1. Erarbeitung von Hilfemöglichkeiten bei Cybermobbing
  2. Sensibilisierung für die Situation von Betroffenen von Cybermobbing
  3. Informationsvermittlung über Leichte Sprache
  4. Praktische Medienkompetenzförderung in den Bereichen Fotografie und Bildbearbeitung
  5. Erarbeitung von Informations- und Arbeitsmaterialien in Leichter Sprache

… und ihre Umsetzung

  1. Die Medienscouts waren zu Projektbeginn bereits über die Merkmale und Dynamik von Cybermobbing infomiert. Daher war ein direkter Einstieg in die Thematik „Hilfe holen“ möglich. In einer Diskussionsrunde wurde erarbeitet, welches „Helfersystem“ konkret an der eigenen Schule und im direkten sozialen Umfeld zur Verfügung steht (Beratungslehrkräfte, Schulsozialarbeit, Schulpolizist, Medienscouts selbst, aber auch Eltern und Freunde etc.) Zusätzlich wurde die Nummer gegen Kummer als anonyme Anlaufstelle benannt.
  2. Zur Förderung der Empathiefähigkeit der Medienscouts gegenüber Mädchen und Jungen, die von Cybermobbing betroffen sind, wurde gemeinsam überlegt, welche Befürchtungen Kinder und Jugendliche davon abhalten könnten, Hilfeangebote in Anspruch zu nehmen – und welche motivierenden Argumente den Befürchtungen entgegen gestellt werden können. Als mögliche Befürchtungen wurden u.a. genannt: „Die anderen denken, man ist eine Memme“, „Es kann soundso keiner etwas dagegen tun“, „Es ist zu peinlich darüber zu reden“, „Dann kriegt jeder mit, dass man nicht alleine mit der Situation klar kommt“. Als Motivationsanreize wurde u.a. angeführt: „Darüber zu reden hilft“, „Die Polizei kann helfen. Dafür gibt es Gesetze.“, „Eltern und Freunde wollen, dass es einem gut geht.“
  3. Anhand von Textarbeit mit/in Leichter Sprache wurden zentrale Regeln zum Verfassen entsprechender Texte heraus gearbeitet. Als entscheidende Merkmale  im Unterschied zu „schwerer“ Sprache konnten die Medienscouts folgende benennen: kurze Sätze, einfache Wortwahl, Trennstriche bei langen Wörtern, Erläuterung von Fremdwörtern, Verwendung von Zeichnungen und Symbolen, Übersichtliche Anordnung der Sätze, gut lesbare Schrifttypen.
  4. Zur Veranschaulichung von Beratungsangeboten sowie zur verständlichen und lebendigen Umsetzung der inhaltlichen Botschaft von Plakat und Arbeitsmaterialien entwickelten die Medienscouts Fotoszenen zu Beratungssettings. Dazu verfassten sie erläuternde Texte in Leichter Sprache. Fotos und Texte wurden anschließend anhand des Bildbearbeitungsprogramms Comic Life zusammengefügt und mit Textboxen und Sprechblasen versehen. Bei dem vorangehenden Shooting mussten nicht nur fotografische Grundlagen wie Bildschärfe und Ausleuchtung beachtet werden sondern auch der Bildaufbau: Für eine gute Verständlichkeit der abgebildeten Handlung müssen die dargestellten Personen in der Reihenfolge ihrer Redebeiträge aufgestellt werden. Des Weiteren müssen die Fotografen darauf achten, dass der Bildaufbau ausreichend Platz für das spätere Einfügen von Sprechblasen bietet.
  5. Die Fotoszenen sowie die gesammelten Befürchtungen und Motivationsideen (s. b.) wurden auf einem Plakat zusammengefasst. Jede der fünf Fotoszenen erhielt thematisch passende Befürchtungen und Motivationen. Diesen wurden zur Veranschaulichung jeweils ein besorgter und ein fröhlicher Smiley zugeordnet.
  6. Da das Plakat auch der Vorstellung der Medienscouts selbst dienen sollte wurden zusätzlich zu den Fotos der Beratungssettings ein kurzer Text, die E-Mailadresse und Portraitfotos der einzelnen Scouts mit ihren Namen auf dem Plakat abgebildet.
  7. Für die Peer-to-Peer-Veranstaltungen der Medienscouts wurden die dargestellten Beratungssettings als Kopier- und Arbeitsmaterialien (wahlweise zum Ausfüllen der Sprechblasen oder der Befürchtungen/Motivationen) in Einzel-Szenen ausgearbeitet.

Und hier geht’s zum Ergebnis: Das Anti-Cybermobbing-Plakat in Leichter Sprache

Das pädagogische Fazit

JanineBianca_fürBlogIIIDie Projektidee hat ein „Two in One“-Ergebnis hervorgebracht. Das ursprüngliche Ziel, Informations-und Arbeitsmaterialien zu Cybermobbing in Leichter Sprache zu entwickeln, fand durch den inhaltlichen Fokus bzw. die Reduzierung auf das Thema „Hilfe holen“ eine wertvolle Erweiterung.

Leichte Sprache

Das Bewusstsein der Medienscouts für die unterschiedlichen Lese- und Lernkompetenzen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler konnte durch die Auseinandersetzung mit der Thematik „Leichte Sprache“ anregt werden.

Die Informations- und Arbeitsmaterialien in Leichter Sprache zu erstellen erwies sich erwartungsgemäß als gar nicht so leicht. Während die Erarbeitung der Regeln für Leichte Sprache gut zu bewältigen war, stellte das Verfassen eigener Texte alle vor eine große Herausforderung – eingeschlossen der Referentinnen. Alle Regeln zu berücksichtigen war – auch auf Grund des beschränkten Platzes auf einem Plakat – leider nicht möglich.

Als Autorinnen und Autoren in Leichter Sprache aktiv zu werden hat sich als ein fortwährender Prozess herausgestellt, dessen Ergebnisse kontinuierlich auf gute Verständlichkeit geprüft werden müssen. In Bezug auf die erstellten Materialien bedeutet dies, dass die Medienscouts sowohl das Plakat als auch die Arbeitsmaterialien im Rahmen ihrer Peer-Einsätze in inklusiven Gruppen überprüfen lassen und bei entsprechender Rückmeldung überarbeiten.

Ob der pädagogische Spagat zwischen der Authentizität der Texte der Medienscouts und dem Anspruch, den Regeln Leichter Sprache gerecht zu werden, gelungen ist, obliegt letztlich der Bewertung durch die Leserinnen und Lesern mit und ohne Lese- und Lernschwierigkeiten.

„Hilfe holen“

Im Zuge verschiedener Diskussionen wurde deutlich, dass die Medienscouts in ihrem Wissen über und in ihrer Sensibilität für die Situation von Mitschülerinnen und Mitschüler, die von Cybermobbing betroffen sind, gefördert werden konnten.

Die anschaulich formulierten „Befürchtungs-Beispiele“ und Motivationsanreize auf dem Plakat und in den Arbeitsmaterialien machen den angesprochenen Kindern und Jugendlichen deutlich, dass die Medienscouts die emotionale Situation von Mobbing-Betroffenen nachvollziehen können. In Kombination mit den dargestellten Beratungsangeboten tragen sie dazu bei, dass die Medienscouts als kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner wahrgenommen werden können.

ALLEN Kindern und Jugendlichen auf empathische und leicht verständliche Weise deutlich zu machen, dass sie in seelischer Not dass Recht auf Hilfe haben und weder  „Memmen“  sind (wie von den Medienscouts anschaulich formuliert) noch sich schämen müssen, wenn sie dieses Recht in Anspruch nehmen, sollte fester Bestandteil medienpädagogischer Arbeit sein.